Anzob-Tunnel | Nadelöhr für den Fernverkehr

Durchfahrt durch den Anzob-Tunnel. Foto: Karsten Schöne

7. Anzob-Tunnel | Nadelöhr für den Fernverkehr

Eine Reise in den NordenTadschikistans führt durch ein Nadelöhr, das man sich vorher ausgiebig auf Youtube-Videos ansehen kann: den fünf Kilometer langen Anzob-Tunnel, den ein iranischer Baukonzern errichtet hat. Nach einer Fahrt über erstaunlich gute Straßen durch ein liebliches Flusstal, wo Drogenhändler und Neureiche ihr Geld in protzigen Häusern mit kitschig bunten Dächern angelegt haben, stehen wir vor dem diesem Höllentunnel, der eher einem Bergwerk gleicht als einem Verkehrsbauwerk. Würden wir auf unseren vertrauten Sicherheitsvorstellungen beharren, müssten wir die Weiterfahrt jetzt verweigern. Massive Wassereinbrüche behindern seit seiner Freigabe im Jahr 2007 immer wieder den Verkehr und die parallel laufenden Bauarbeiten. Erst eine von zwei Röhren ist in Betrieb, aber der Verkehr muss in beide Richtungen hindurch. Das Wasser am Boden verbirgt zudem tiefe Schlaglöcher. Abgaswolken und die mangelhafte Beleuchtung sorgen in der fünf Kilometer langen Röhre für 15 lange Minuten. So lange dauert die Fahrt. Ein Unfall oder ein Erdbeben könnten hier schnell zur Katastrophe führen.

Doch was aus der Ferne wie Wahnsinn erscheint, ist hier ein Gebot der Vernunft. Die Alternative war bis zum Tunnelbau eine Route, die über usbekisches Terrain führte. Die Usbeken und der Winterschnee auf den Passstraßen konnten den Verkehr zwischen den Wirtschaftszentren Duschanbe und Chudschand immer wieder empfindlich stören. Der von Iranern begonnene und jetzt von Chinesen weitergebaute Tunnel ist deswegen ein Stück Unabhängigkeit, Freiheit. Die Leute sind froh über den Tunnel, auch wenn sie über den Bauzustand schimpfen. Wie immer gibt es auch Profiteure. An beiden Enden des Tunnels lebt eine kleine Industrie von dem Dreck, den die Bauarbeiten produzieren. Hier hält man hinterher an, lässt das Auto waschen, und trinkt einen Tee. Ihre Geschäfte werden schlechter gehen, wenn der Tunnel einmal fertig ist. Wir kommen gut durch, kein liegengebliebener Wagen behindert uns. Nur die Scheibe unseres Autos, die schon am Anfang unserer Reise nicht ganz heil war, reißt durch einen Steinschlag endgültig. Unser Fahrer zeichnet mit dem Finger den Riss nach und stößt einen stillen Fluch aus. Der Tunnel hat ihn um 100 Dollar ärmer gemacht.

 

 

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