Jamg | Islamische Gelehrsamkeit unter Bauern

Der Hüter des Museums in Jamg zeigt eine Handschrift des Koran. Foto: Karsten Schöne

5. Jamg | Islamische Gelehrsamkeit unter Bauern

Kaum ein Dorf gibt es in diesem Teil des Pamirs, in dem nicht wenigstens ein Masar steht – ein kleiner Tierschrein, oft nur eine Nische in einer Mauer, in der Hörner und Schädel wie Trophäen ausgestellt werden. Ihrer Ästhetik kann man sich kaum entziehen. Der Buddhismus und der ismaelitische Islam haben uraltes schamanische Erbe nicht ausgelöscht, sondern integriert. Im Dorf Jamg gibt es ein Museum. Hier wird bis heute das Anwesen des Sufi-Gelehrten, Poeten und Reisenden Mubarak-i Wakhani bewahrt, der hier bis zu seinem Tod im Jahr 1903 lebte. Die Gebäude sind innen und außen mit Abbildungen von Menschen, Tieren, Pflanzen in einem naiven Stil und kalligrafischen Texten dekoriert. Der Hüter der Gedenkstätte empfängt uns. „Seht auch diese Landschaft an. Der Pamir macht gesund“, erklärt er. Gern ist er bereit,  uns die  Bauweise des traditionellen Pamirhauses zu erklären, das nur in der Decke eine Licht- und Rauchöffnung hat, oder die Sammlung volkskundlicher Geräte.  Doch ist dies nur die Oberfläche. Jamg ist vor allem ein Ort der Meditation und der Gottsuche.

Der Wert der individuellen Lebensführung und eine allegorische Auslegung des Islams machen den Kern des ismaelitischen Sufi-Islams aus. „Es gibt Erfahrungen, die dem westlichen Menschen unzugänglich sind“, sagt unser Gewährsmann und lächelt. Radebrechend berichten wir ihm, woher wie kommen.  Er versteht, antwortet aber: „Es ist unwichtig, woher ihr kommt“, sagt er. „Es kommt an diesem Ort nur auf Eure Herzen an.“ Von einem dogmatischen Weltbild, wie es die Salafisten oder Wahabiten verbreiten, ist dieser Islam meilenweit entfernt. Dass sein Vorbild Mubarak-i Wakhani nicht nur ein Mann des Glaubens, sondern auch ein lebenszugewandter Praktiker war, zeigt ein Stein mit einer kreisrunden Peilöffnung, mit dem er einst Kalendertage für die Feste und die Aussaat bestimmte. Daneben sehen wir gibt es Kanäle eines uralten Bewässerungssystems, das noch immer in Betrieb ist. Auf dem Feld gegenüber wird mit Menschenkraft gepflügt wird.  Man braucht aber auch seine Zuversicht, um das harte Leben hier aushalten zu können. Wer ernsthaft krank wird, hat kaum eine medizinische Versorgung zu erwarten. Uns steht für heute noch ein anspruchsvoller Anstieg mit dem Auto zum 4344 Meter hohen Khargusch-Pass bevor.

 

 

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